Wie finde ich den Sinn im Leben?


Erster Hinweis

Um gleich philosophisch zu beginnen: der Sinn des Lebens findet Dich und nicht Du den Sinn des Lebens. Soll heißen, dass manchmal die eigenen Vorstellungen, das eigene Suchen und die eigenen Wünsche die Sicht darauf verstellen, was an Chancen für ein sinnvolles Leben vor einem liegen. Sich finden lassen ist oft einfacher als das Suchen, offen sein für die Gelegenheiten in der Welt besser als subjektives Pläneschmieden. Ein persönliches Beispiel: Als ich vor vielen Jahren nach Indien reiste, lernte ich dort einen Sozialarbeiter kennen, der mir völlig unvermittelt ein runtergewirtschaftetes Waisenhaus zeigte und mich um Hilfe bat. Obwohl ich als Student der Philosophie und Sozialarbeit selbst knapp bei Kasse war, willigte ich ein, gründete mit anderen Leuten einen Verein und baute über die letzten zwanzig Jahre das Waisenheim auf. Nach dieser Gelegenheit gesucht habe ich bestimmt nicht, aber dank ihr eine gute Portion Sinn in meinem Leben erhalten.

Zweiter Hinweis

Einen ersten Hinweis haben wir bereits für die Antwort auf die Frage, wie man den Sinn des Lebens findet: Offen sein fürs Objektive. Der zweite Hinweis steckt auch schon in dem Beispiel. Sinn hat nicht nur etwas mit Spaß und Glück zu tun, sondern auch mit Aufgaben und Pflicht. Auch wenn es griesgrämig klingt, aber Sinn ist kein Zustand, der sich irgendwann einstellt und einen auf Wolke sieben schweben läßt. Es ist eher ein Huckepack-Phänomen: man tut etwas, handelt, wird einer Aufgabe gerecht, erfüllt seine Pflicht und dann merkt man, wie das Leben plötzlich Substanz, Wert und Sinn bekommt. Dieses Waisenheim aufzubauen brachte uns schlaflose Nächte, graue Haare und herzhafte Auseinandersetzungen, aber genauso unsere kleine Wolke sieben durch die Gewissheit, dass die Kids ein Dach über dem Kopf haben. 

Dritter Hinweis

Merkst Du was? Bisher ging es erstaunlich wenig um Dich, obwohl es doch Dein Leben ist, für das Du Sinn suchst. Oft kommt der Sinn auf Dich zu, nicht umgekehrt, und stellt sich im Zuge von Handlungen ein, die sich um andere drehen, nicht um Dich. Das ist ein dritter Hinweis, was es mit dem Sinn des Lebens auf sich hat: Es geht weniger um Dich, mehr um Andere, Anderes. Natürlich ist es wichtig zu wissen, wer Du bist, was Du willst, welche Art des Lebens für Dich Sinn macht. Diese Dinge herauszufinden, ist schwer und an sich schon ein gutes Stück Arbeit. Und das nur nebenbei: Vollständig sicher sein kannst Du Dir dabei auch nicht. Denn unser Wissen von uns selbst und von dem, was in der Welt Sinn macht, ist äußerst beschränkt. Vielleicht haben auch deswegen viele Menschen Schwierigkeiten mit der Suche nach Sinn: weil Sie annehmen, sie müssten erst genau wissen, wer sie sind und genau wissen, was die perfekte gute Sache ist, um mit ihrem sinnvollen Leben loszulegen. So läuft das aber selten. Eher gehört Mut dazu, sich als Mensch, der nicht genau weiß, wer er ist und was er kann, an eine Sache zu wagen, von der man nicht genau weiß, was sie bringt und ob man sie kann.

Vierter Hinweis

Zurück zu den Anderen. Das ist wohl der wichtigste Hinweis in Bezug auf ein sinnvolles Leben: Du findest ihn da draußen. Bei anderen Menschen, bei anderen Sachen, bei anderen Ideen.

Um bei dieser Reihenfolge zu bleiben: Sinn liegt in den Beziehungen zu anderen Menschen. Das kann die Familie oder die wie auch immer geartete partnerschaftliche Beziehung sein, in der man sich aufgehoben fühlt und die man stärkt. Oder die ehrenamtliche oder hauptberufliche Arbeit mit hilfsbedürftigen Alten, Geflüchteten, Obdachlosen. Hier liegt die Verbindung zum politischen oder zivilgesellschaftlichen Engagement: Mitarbeit in einer Partei, in Nachbarschaftsverbänden, NGOs und dergleichen bedeutet Arbeit, die der Sinn mit sich bringt.

Zu den Sachen: Am direktesten und spürbarsten verbinden Dich Deine Hände mit der Welt. Manche Menschen finden Sinn und geradezu ozeanische Eingelassenheit mit dem Kosmos durch das wohlige Wühlen im Dreck beim Gärtnern, dem Schnitzen und Schleifen vom Material beim Handwerkern oder das künstlerische Bilden.

Die Kunst ist eine gute Überleitung zu den Ideen, denn sie ist beides, die Idee in der Sache sozusagen. Die Beschäftigung mit Ideen in der Kunst oder der Wissenschaft kann äußert sinnstiftend sein. In diesen Bereich fällt auch etwas, was vielleicht nicht unmittelbar mit Sinn in Verbindung gebracht wird, dafür aber wesentlich ist: Moral. Damit ist auch, aber weniger, die philosophische Auseinandersetzung mit moralischen Ideen gemeint, sondern eher die Wirksamkeit derselben im eigenen Leben. Moralisches Leben heißt nicht, mit dem erhobenen Zeigefinder durch die Gegend zu laufen oder sein Denken und Handeln in ethische Korsette zu quetschen. Es bedeutet, Sinn und Genugtuung dadurch zu spüren, das Richtige zu tun.

Den Sinn des Lebens im allgemeinen gibt es nicht, nur den Sinn für das jeweils eigene Leben. Aber das Suchen und Finden von Sinn wird vielleicht leichter durch die Einsicht, dass Sinn aus Welten stammt, die größer sind als die jeweils eigene: Die Welt der Begegnung mit anderen Menschen, der Arbeit am Material, des Erkennens großer Ideen.